Blogbeitrag: Regulatorische Anforderungen
Firmen unterschiedlichster Branchen kennen sie: Die gefürchteten regulatorischen Anforderungen aus Gesetzen, Standards oder Leitlinien. Werden sie nicht erfüllt, gibt es entweder keine Marktzulassung für regulierte Produkte oder es können Nichtkonformitäten bei Qualitätsmanagement Audits bzw. Inspektionen auftreten. Ein prominentes Beispiel für mögliche Konsequenzen bei (vorsätzlicher) Nichteinhaltung von Regularien ist die Boing 737 MAX.
Spätestens wenn wir solche Nachrichten lesen, wird klar: Wir mögen es als nervig und einengend empfinden, dass regulatorische Anforderungen Vorgaben für Prozesse und Entwicklung enthalten sowie die Produktzulassung verzögern. Aber die Intention dahinter ist sinnvoll: Regulierte Produkte müssen Mindestanforderungen an Sicherheit und Leistung erfüllen, damit sie keine unvertretbaren Risiken für Anwender, weitere Personen oder die Umgebung darstellen.
Egal ob im Bereich Flugzeugbau, Automobilindustrie, Medizintechnik oder anderen regulierten Branchen: Regulatorische Anforderungen aus Gesetzen, Standards (identisch mit dem Begriff „Norm“) und Leitlinien sowie deren Anwendung sind grundsätzlich gleich. Akteure in diesen Branchen benötigen einen Prozess für die Handhabung von regulatorischen Informationen, der festlegt:
- Wie werden relevante regulatorische Informationen identifiziert?
- Wie werden regulatorische Informationen dokumentiert und verwaltet?
- Wie wird sichergestellt, dass Änderungen der Regularien bemerkt werden?
- Wie wird bewertet, ob und welche einzelnen Anforderungen anwendbar sind?
- Wie werden anwendbare Anforderungen implementiert?
- Wie wird nachgewiesen, dass Konformität mit den Anforderungen erreicht wurde?
Ein solcher Prozess kann schlank, effizient, und transparent dokumentiert sein. Oder – und das ist leider noch oft im Bereich Produktentwicklung und Zulassungen der Fall – ein geheimnisumwitterter Prozess, deren Tricks und Kniffe nur die direkt involvierten Entwickler oder Regulatory Affairs/Zulassungsmanager kennen.
Fachwissen sollte in einem Unternehmen aber transparent dokumentiert werden. Zum einen, damit Mitarbeiter relevante Informationen schnell zielgerichtet finden und anwenden können. Zum anderen sollten auch die nicht direkt involvierten Abteilungen einen Überblick über regulatorische Informationen bekommen können. Das ermöglicht zumindest ansatzweise ein Verständnis für die Komplexität der Regulatorik, denn die Anforderungen für die Zulassung in unterschiedlichen Märkten sind enorm und die Anzahl an regulatorischen Dokumenten nimmt täglich zu. Inhalte dieser Dokumente müssen verstanden und umgesetzt werden, was aufgrund von Interpretationsspielräumen und ineinander verzahnten Dokumenten alles andere als trivial ist.
Als internationaler Produktmanager eines globalen Medizintechnik Unternehmens hatte ich in einem Jahr das Ziel bekommen, einen Produktlaunch in den USA durchzuführen. Die Regulatory Affairs (RA) Abteilung bestand damals aus wenigen Mitarbeitern und war chronisch überlastet. Mein Produkt stand auf der Prioritätenliste nicht im oberen Bereich.
„Willst Du eine FDA Zulassung in diesem Jahr, musst Du Dich selbst drum kümmern“ war die Aussage des RA Mitarbeiters. „Challenge accepted“ dachte ich mir damals. „Ziemlich naiv“, denke ich heute.
Seit diesem Zeitpunkt war mir klar, dass die Produktentwicklung nur ein Baustein für den Unternehmenserfolg ist. Ein Weiterer ist die erfolgreiche Zulassung. Daher spielt Regulatory Affairs eine zentrale Bedeutung für den Erfolg eines Unternehmens.
WICHTIG: Es sollte darauf geachtet werden, regulatorische Anforderungen in Prozessen SINNVOLL umzusetzen. Aus Angst vor Auditabweichungen wird oft mehr über die Prozesse des QM Systems vorgegeben, als regulatorisch eigentlich erforderlich wäre. Eine sinnvolle Umsetzung setzt voraus, dass der Prozesseigner die anwendbaren Regularien im Detail kennt, versteht und anwenden kann. Sollten später bei einem externen Audit unangemessene Forderungen gestellt werden, kann mit Verweis auf die regulatorische Grundlage ggfs. eine Abweichung verhindert werden.
„Kenntnis und Verständnis relevanter regulatorischer Anforderungen sind die Grundlage für schlanke und effiziente Qualitätsmanagementsysteme und erfolgreiche QM Audits.“
- Produktentwicklung
Bei der Entwicklung eines neuen Produktes ist eine der wichtigsten Aktivitäten die Ermittlung der anwendbaren regulatorischen Anforderungen. Werden diese am Ende der Entwicklung nicht erfüllt, gibt es keine Zulassung und ergo kann auch kein Geld verdient werden.
Startup Firmen berücksichtigen regulatorische Anforderungen oft zu spät und fokussieren sich nur auf die Entwicklung des Designs.
Auf der einen Seite verständlich, weil entsprechende Expertise oft fehlt und das motivierte Entwicklungsteam absolut keine Lust auf die komplexen regulatorischen Themen und damit verbundene Dokumentation hat. Auf der anderen Seite fahrlässig vom Management Team, weil es damit Zeit- und Kostenplanung auf das Spiel setzt.
Lücken in der regulatorischen Compliance können zu Änderungen mit umfangreichen Konsequenzen führen, was in Summe schnell in zusätzlichen Kosten im 5 bis 6-stelligen Bereich resultiert. Müssen z.B. alleine Tests für die elektrische Sicherheit und elektromagnetische Verträglichkeit eines Medizinproduktes bei einem Testlabor wiederholt werden, kommen je nach Umfang 10.000-30.000€ zusammen.
WICHTIG: Nicht alle anwendbaren regulatorischen Dokumente erfordern eine solch detaillierte Bewertung und nicht jedes Unternehmen möchte die Anforderungen in diesem Detaillierungsgrad managen. Es ist jedoch eine bewährte Methode, um sicherzustellen, dass keine der Anforderungen übersehen wurde. Außerdem erzeugt es Transparenz, welche für eine zügige Zulassung erforderlich ist. Daher wird das Vorgehen vor allem bei der Umsetzung von produktspezifischen Standards mit Vorgaben für Design und Verifizierung genutzt, jedoch nicht bei Prozessstandards angewendet.
Praxisbeispiel Medizintechnik:
Um gesetzliche Anforderungen an Sicherheit und Leistung von Medizinprodukten zu erfüllen, werden u.a. die Prozessstandards ISO 14971 (Risikomanagement) und IEC 62366-1 (Usability Engineering) herangezogen. Über das Qualitätsmanagementsystem und Audits wird sichergestellt, dass diese Standards erfüllt werden. Deshalb müssen Details der Standards NICHT für ein konkretes Entwicklungsprojekt berücksichtigt werden.
- Regulatorische Dokumente werden durch Gesetzgeber, Normungs- oder andere Expertengruppen in einer Weise geschrieben, welche die effiziente digitale Verarbeitung nicht unterstützt. Abgesehen von inhaltlichen Schwächen und teils großen Interpretationsspielräumen, werden Dokumente in der Regel als PDF oder Word File mit viel Fließtext oder schwierig zu nutzenden Tabellen veröffentlicht. Das erfordert ein manuelles Herunterbrechen auf einzelne Anforderungen, was jeder Hersteller wieder für sich machen muss und bei jeder neuen Version des Input Dokuments aktualisieren muss. Bei Standards kommt erschwerend das Lizenzmodell der Herausgeber hinzu.
Dürfte ich einen Wunsch ans Universum richten, wäre es folgender:
Liebe Herausgeber von regulatorischen Dokumenten: Macht Euch mit den Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts vertraut und beginnt, Dokumente mit regulatorischen Anforderungen in einer Art und Weise zu erstellen, welche leichter zu digitalisieren sind (Vielleicht wird der Wunsch zumindest von der Usability Normungsgruppe gehört ?).
Aber fangen wir zunächst mit den heute bereits möglichen Schritten an:
Der Digitalisierung von regulatorischen Prozessen.
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